
Ein Experiment – Zwei Gemälde
Ein Text von Michel Kaspar:
Als ich mit der Ölmalerei anfing, kam mir eine Sache nie in den Sinn; dass ich eine Auftragsarbeit umsetzen würde. Eigentlich dachte ich auch nicht, dass mich jemand damit beauftragen würde. Das hat sicher damit zu tun, dass Malerei für mich bedeutet, eine Welt nach eigenen Regeln umzusetzen. Die Spannung in den Bildern, die durch Konzentration, Verdichtung, Farbe und ihrer Gegenteile entstehen, ist hauptsächlich meiner Vorstellung geschuldet und keinen realen Vorbildern.
Umso überraschter war ich, als ich eine Anfrage bekam, ein Ölgemälde als Auftragsarbeit anzufertigen. Es sollte um das Thema Wein gehen. Nicht im Allgemeinen, sondern um den Kreislauf der Natur bei der Entstehung der Weintrauben: vom Winterschlaf des Rebstocks, dem Anfang des Wachstums, über die Weinlese und bis zur Transformation in Maische und Wein. Und es sollte im Stil meiner Bilder sein. Das erschien mir schwer vorstellbar. Einerseits, da ich nichts Gegenständliches malen wollte und andererseits, da ich von dem Thema – bis auf gelegentliches Weintrinken – nicht so viel verstand. Deshalb schickte ich meinem potenziellen Auftraggeber, dem Hobby-Winzer Joachim Günther in Travemünde, ein paar Links zu Websites von Künstlern, die sich mit dem Thema besser auskannten als ich und auch schon einiges Vorzeigbares gemalt hatten. Damit glaubte ich, wäre das Thema »Auftragsarbeit« erst einmal »vom Tisch«.
Doch mein Auftraggeber ließ nicht locker. Er überwies mir unaufgefordert eine erste Rate und teilte mir mit, dass er keinen anderen Künstler möchte. Außerdem hätte ich völlige Freiheiten in der Ausführung und das Thema Wein könne er mir ohne Probleme näher bringen. Und irgendwie finde ich es sympathisch, dass jemand so hartnäckig ist und ich sagte zu. Es begann nun eine intensive Phase des Kennenlernens des Weinzykluses bis zu seiner Herstellung. Mein Auftraggeber schickte mir nun jeden Monat Bilder. Er beschrieb die einzelnen Phasen im Wachstumsprozess von den ersten Knospen bis zu den reifen Trauben, über die Weinlese bis zur Herstellung des Weines und dem Rebstockschnitt im Winter. Alles mit Fotos und kundigen Erklärungen, so dass ich quasi ein Jahr lang zum Weinbau-Novizen wurde. Am Ende bekam ich noch einige Unterlagen, konzeptionelle Charts mit den einzelnen Phasen, die Teil der Umsetzung sein sollen. Und die Phasen, die die einzelnen Teilschritte des Prozesses darstellten, der abzubilden war, wurden immer mehr. Das Format 40 x 140 cm war ebenfalls gesetzt – nicht das einfachste, um einen jährlichen Kreislauf darzustellen. Mein Hauptproblem aber war, dass ich das Bild, das ich malen sollte nicht sehen konnte. Ich sehe meine Bilder immer im Geiste vor mir und versuche, sie dann, so nah wie möglich hundertprozentig umzusetzen. Nur wusste ich auch nicht, ob das Bild überhaupt nachvollziehbar abstrakt umsetzbar war. Eigentlich war es ja eher ein gegenständliche Arbeit. Und je mehr Details kamen, desto mehr verblassten die ersten Ideen, an die ich noch geglaubt hatte.

Ich versuchte nun – es muss kein guter Tag gewesen sein – einen Rückzug von diesem Projekt. Ich erklärte meine Problem mit der Umsetzung und wie gegenläufig die Vorstellungen meines Auftraggebers zu meiner Arbeitsweise wären. Im Grunde genommen erschienen sie mir völlig inkompatibel. Aber er meinte, dass wir schon weit vorangekommen gekommen wären und verwies auf meine künstlerische Freiheit. Er war davon überzeugt, dass ich ein Bild malen würde, dass ihm gefiel.
Als klar war, dass es keinen Rückzug geben würde, war es wichtig, alle Unklarheiten und Inkompatibilitäten aufzulösen und Ideen zu entwickeln, um ein gutes Bild malen zu können. Den jährlichen »Kreislauf« in einem Hochformat umzusetzen würde ich als Anschnitt darstellen. Diese Idee hatte ich schon früh, doch jetzt wollte ich mich nicht auf den Kreislauf, sondern mehr auf die einzelnen Phasen konzentrieren. Um Spannung zu erzeugen, würde ich die einzelnen Schritte unterschiedlich gewichten. Als Raster wollte ich die Einteilung des Bildes in vier Bereiche teilen: die Jahreszeiten. Ich hatte vorher alle Texte und Bilder, die ich zum Thema Wein geschickt bekommen habe, gesammelt und geordnet und ihnen eine Zahl zugewiesen. Diese legte ich jetzt passend zu Monat und Jahreszeit über das Raster und so entstand eine Art »Roadmap«, die zeigt, in welchem Teil des Bildes »etwas passieren musste«. Die Nummern waren noch dazu leicht als Halbkreis angeordnet, der (imaginär) den Kreislauf bilden sollte.
Öl, 140 x 40, 2024
Hintergrund
Ich habe das Format in vier etwa gleich große Bereiche unterteilt, die in ihrer Abfolge und Farbigkeit den vier Jahreszeiten entsprechen.
»Leserichtung«
Der Kreislauf beginnt links unten und endet rechts oben – bildet also imaginär einen Kreis. Die Richtung von unten nach oben ist dem natürlichen Wachstumsprozess entsprechend.
Etappen
Die einzelnen Etappen im Prozess des Wachstums habe ich analog zu den Foto-E-Mails gebildet, die ich im Laufe eines Jahres bekommen habe. Jede Etappe habe ich nummeriert und Text und Foto zugeordnet. Das habe ich übertragen und über die Jahreszeiten gelegt. Es beginnt im ersten Abschnitt links mit – aus dem dunklen Boden wachsenden – Zweigen, mit dem »Bluten«, der Knospenbildung und dem Kampf gegen die Natur bzw. die Darstellung der natürlichen Bestäubung. Die anderen Etappen sind so wie in der Skizze grob dargestellt.
Allerdings weicht die Genauigkeit der Darstellung in der unterschiedlichen Ausführung der beiden Gemälde erheblich voneinander ab.
Doch eine große Unbekannte blieb: Wie sollte ich eine so gegenständliche Sache, die so detailreich ist, in einem abstrakten Bild mit meiner Handschrift darstellen, das dem Auftraggeber auch noch gefallen würde? Da beschloss ich zwei Bilder zu malen: ein Bild, das mir gefallen sollte und ein Bild in dem ich versuchte, alle Anforderungen unterzubringen – auch wenn es meinem Stil nicht hundertprozentig entsprechen würde. Für mich wurde es nun zusätzlich spannend: welches Bild würde meinem Auftraggeber besser gefallen?
Das Ergebnis
In der Umsetzung wollte ich wieder die Möglichkeiten zeigen, die Ölmalerei bieten kann: durch Gegensätze, Gewichtung, Spannungsaufbau und Farbe sollte ein kraftvolles und lebendiges Bild enstehen.


Nachdem die beiden Ölgemälde endlich fertig waren (tatsächlich habe ich noch nie so lange an Gemälden gearbeitet, wie an den beiden), war für mich die Antwort auf die Frage interessant, welches Bild der Favorit würde (bzw. ob überhaupt ein Bild gefallen würde). Und genauso unvorhersehbar wie die ganze Reise war auch das Ende: Er wollte sich nicht entscheiden, welches Bild ihm besser gefiele. Bis heute. Deshalb hängen bei ihm jetzt beide Bilder. Neben einander.
»Jeden Tag freue ich mich, wenn ich auf die Bilder schaue. Sie gehören einfach zusammen und bilden eine Einheit. Stilrichtungen können sehr interessant sein, denn das eigene Empfinden beim Betrachten solcher Bilder ist immer auch der Indikator für künstlerische Qualität. Und die ist bei den Bildern von Michael Kaspar aussergewöhnlich.«
Joachim Günther

